Eröffnungsfalle in der Wiener Partie

(kommentiert von Carsten Meya)

Vor nicht allzulanger Zeit fragte mich Peter May einmal: "Was ist eigentlich mit Dame g4 in der Wiener Partie?". Daraufhin analysierten wir gemeinsam die Stellung. Jetzt kam eine dieser Varianten in der Partie von Albert Voß auf das Brett; Grund genug sich hier ein wenig darüber auszulassen.

Die folgenden Züge entstammen der Partie Hubertus Morgenroth gegen Albert Voß anläßlich des Bezirksligakampfes zwischen PTSV Dortmund und Turm Selm am 5.11.2000, sind allerdings auch in der Theorie wohlbekannt.

Nach

1.e4e5
2.Sc3Sc6
3.Lc4Lc5
4.Dg4...
entstand diese Stellung:

Schwarz tappt in die Falle

Der auf den ersten Blick ungesund aussehende Damenausfall im vierten Zug ist nicht nur durchaus spielbar, er sichert sogar Weiß ein gutes Spiel.
Der optimistische Angriffsversuch mit 4. ... Df6 führt nach 5.Sd5! Dxf2+ 6.Kd1 zu einer aussichtslosen Stellung für Schwarz. Beide Türme drohen verloren zu gehen, der eine durch Dxg7, der andere durch Sxc7+. Einzige Verteidigungsmöglichkeit ist Kf8, danach stehen allerdings Weiß alle Möglichkeiten offen, aber das wäre eine ganz andere Partie ...(z.B. Mieses-Tschigorin 1906)
Korrekterweise müsste Schwarz 4. ... g6 ziehen und alle Nachteile dieses Zuges (ohne den Läufer auf f7) in Kauf nehmen. In der Partie Larsen-Portisch (1968) erhielt der Anziehende einen kleinen positionellen Vorteil.

In unserer Partie folgte jedoch eine andere Fortsetzung: 4. ... d5 mit gleichzeitigem Angriff auf die Dame und den Läufer. Die nächsten Züge sind erzwungen und führen zu einer Gewinnstellung für Weiß.


4....d5
5.Dxg7Df6
6.Dxf6Sxf6

Wie nimmt man auf d5?

Weiß muß jetzt wohl auf d5 den Bauern herausnehmen, er hat dafür drei Möglichkeiten:
Mit dem Läufer oder Bauern zu schlagen sichert Weiß einigen Vorteil (zwei Mehrbauern bei Entwicklungsrückstand), die stärkste Fortsetzung ist meines Erachtens aber Sxd5. Dies geschah auch in der Partie. Albert fand nur danach (durch äußere Umstände abgelenkt) nicht die richtige Fortsetzung. Es folgte in der Partie 6.Sxd5 Sxe4 7.Sh3 woraufhin Weiß in arge Bedrängnis geriet.


Es gibt aber eine starke Erwiderung auf 7. ... Sxe4:
 7.Sxd5Sxe4
(8.)Sxc7+König beliebig
(9.)Sxa8Sxf2
(10.)d4!Lxd4
(11.)c3...

Und Schwarz verliert eine Figur, hat dafür allerdings einen Bauern und Entwicklungsvorteil. Die Turmtöter werden entweder beide von ihren Eckfeldern entkommen oder beide verloren gehen. Somit sollte Weiß ein günstiges Endspiel erreichen können.
Ich habe leider in der Literatur nichts über diese letzte Variante gefunden. Um meine Stellungsbewertung zu überprüfen spielte ich die Stellung nach 7. ... Sxe4 gegen Fritz 5.32 weiter. Das Programm erhielt dabei pro Zug 30s Bedenkzeit, ich zog jeweils ad hoc den naheliegenden Zug für Weiß. Noch vor dem 30. Zug erreichte ich ein Endspiel mit Läuferpaar und zwei Bauern gegen fünf Bauern, der Computer gab im 38. Zug auf. Bedenkt man den Spielstärkeunterschied zwischen dem Programm und mir muß es wohl an der Ausgangsstellung gelegen haben ....

Carsten Meya